YouTube

By loading the video, you agree to YouTube's privacy policy.
Learn more

Load video

Inseleinsamkeit. Semantische Spiegeleffekte des modernen Subjekts


Onlineveranstaltung
Donnerstag, 21.1.2021, 10:15h

Volkmar Billig

Sassnitz auf Rügen

Inseleinsamkeit. Semantische Spiegeleffekte des modernen Subjekts

Die Begriffe von Autarkie und Isolation sind in historischer Betrachtung gleichermaßen mit Inselvorstellungen wie mit Konzepten eines autonomen Subjekts verknüpft. Insbesondere im Kontext der subjektivistischen Diskurse der Neuzeit spielt die assoziative Engführung von solitärem Ich und »einsamer Insel« eine maßgebliche Rolle – mit dem Resultat, dass uns die robinsonadische Lesart von Inseln heute geradezu selbstverständlich erscheint. Allerdings ist diese Selbstverständlichkeit trügerisch, denn der Typus des einsamen Inselhelden, wie ihn Daniel Defoes Robinson Crusoe paradigmatisch vorstellt, ist in antiken, mittelalterlichen und selbst frühneuzeitlichen Überlieferungen in dieser Form nirgendwo zu finden. Auch die moderne Inselsehnsucht als Brückenschlag zwischen poetischer Phantasie und touristischem Verlangen erweist sich als historisch junges, ja spezifisch modernes Phänomen. Das entsprechende Verständnis von Inseln als symbolische Ursprungslandschaft und Ort der schöpferischen Inspiration taucht erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – zur Zeit der »Entdeckung« Tahitis, der Insel-»Träumereien« Rousseaus und der frühromantischen Italienreisen – auf. All dies legt nahe, einen strukturellen und historischen Zusammenhang zwischen den Vorstellungen eines quasi-insularen Ego bzw. Selbst und der Insel als Projektionsfläche eines ebenso individuellen Verlangens zu vermuten, und stellt die Frage nach diesbezüglichen Diskursen und Diskursverschie-bungen in den Raum.
Hiervon ausgehend werde ich in meinem Vortrag nach den Gelenkstellen von Subjekt- und Inselvorstellungen und nach der Genese der modernen Vorstellungen einsamer Inseln und autonomer Subjekte fragen. Neben philosophischen Denkfiguren, etwa bei Descartes, Locke, Kant und Schelling gehe ich auf literarische Texte u.a. von Ibn Tufail (Ḥayy ibn Yaqẓān), William Shakespeare (The Tempest), Tommaso Campanella (Civitas Solis), Baltasar Gracián (El Criticón) und Jean-Jacques Rousseau (Rêveries du promeneur solitaire und Confessions) ein, in denen sich Konzepte von Subjektivität und Insularität exemplarisch überschneiden.

Volkmar Billig ist Philosoph und Kulturwissenschaftler. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Kulturgeschichte von Inseln sowie des modernen Subjekts. Er war als Ausstellungskurator, Redakteur und Gastdozent in Deutschland, der Schweiz, Irland und Argentinien tätig. Neben seiner 2010 erschienenen Monografie Inseln. Geschichte einer Faszination hat er zahlreiche Aufsätze zu kunstwissenschaftlichen und kulturphilosophischen Themen in Sammelbänden und Zeitschriften veröffentlicht. Seit 2015 lebt er auf Rügen, wo er eine Buchhandlung betreibt.