Anne Carson
DECREATION
Einladung zur szenischen Lesung der Oper
von
Anne Carson
Decreation: “Entschöpfung”, schreibt Simone Weil in ihren privaten Aufzeichnungen, ist “Geschaffenes überführen ins Ungeschaffene.” Und dies ist nicht gleichzusetzen mit Zerstörung: Geschaffenes überführen ins Nichts. Decreation meint: sich selbst aus dem Weg schaffen. Denn das Selbst steht sich selbst im Weg, wenn es darum geht, zu Gott zu gelangen. In der Ekstase – der der Liebe oder der religiösen – wird die Seele aus ihrem eigenen Sein herausgehoben und läßt sich selbst zurück. Das ist die absolute Waghalsigkeit der Liebe.
Die Oper DECREATION ist ein Triptychon. Sie erzählt von drei Frauen, die in der Kunst der Entschöpfung bis zum Äußersten gehen: Eine Studie über die Liebe, den Hass, die Ängste und Sehnsüchte von drei außergewöhnlichen Frauen, die nach dem Göttlichen streben und in Gott schwelgen.
Anne Carson hat sich sowohl mit ihren Dichtungen als auch mit ihren Essays einen Namen gemacht. Auf originelle und aufsehenerregende Weise verbindet sie die Antike mit der modernen Kultur. Michael Ondaatje, Autor des Englischen Patienten, meint: “Anne Carson ist die aufregendste Dichterin in der heutigen englischsprachigen Welt. Sie ist das seltene Talent … brilliant, leidenschaftlich und zutiefst berührend.” Carsons Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem McArthur “Genius” Award. Ihr episches Gedicht Autobiography of Red (1998) wurde für den National Book Critics Circle nominiert. In diesem Buch versetzt sie das rotgeflügelte Ungeheuer Geryon (aus dem Mythos-Fragment des Dichters Stesichoros aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.) in die heutige Zeit in eine Geschichte über die Mannwerdung eines Jünglings; “a spellbinding achievement”, meint Susan Sontag Weitere Dichtungen sind Plainwater (1995) und Glass, Irony, and God (1995). Zuletzt erschien The Beauty of the Husband (2001). Anne Carson schrieb u.a. Texte für William Forsythes Choreographien und lehrt als Professorin für klassische Literatur an der McGill University in Montreal, Canada.
Freitag, 5. Juli 2002
19.00 Uhr (Einlaß)
19.30 Uhr (Beginn)
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Handlung:
I. Der göttliche Schmied Hephaistos sinnt auf Rache. Seine Frau, die schöne Aphrodite, vergnügt sich mit dem Kriegsgott Ares. In seiner Werkstatt fertigt er eine Falle aus vulkanischen Ketten so dünn, dass sie beinahe unsichtbar sind. Mit Hilfe seiner Roboter takelt er sein eigenes (!) Bett auf, in welchem sich Ares und Aphrodite gerne im Liebestaumel wälzen. Die Falle schnappt zu und Hephaistos jubiliert: Wut und Ausgelassenheit über die gefangenen Liebenden. Doch Ares und Aphrodite verhandeln leichten Herzens mit dem betrogenen Gatten. Die Aufgekratztheit des Schmieds wandelt sich in Traurigkeit, als ihm klar wird, dass sie mit ihrer Leichtigkeit schon gewonnen haben. Er befreit sie aus der Falle. Ares und Aphrodite machen sich leichtfüßig auf zu besser parfümierten Orten, während er sich einsam in das Bett legt.
II. Im 13. Jahrhundert schrieb Marguerite Porete einen Text, der den Zorn der päpstlichen Inquisition erregte: Nicht nur war er auf französisch geschrieben (statt auf lateinisch, der Sprache, in der über Gott nachzudenken war), er war dazu auch noch von ungewöhnlichem, rauschhaftem Inhalt. Trotz vielfacher Warnungen der Kirche weigert sich Marguerite, ihre Ideen nicht mehr oder in anderer Weise zu verbreiten. Im Frühjahr 1310 macht ihr die Inquisition den Prozess wegen Häresie; am 1. Juni um 12 Uhr Mittags wird sie in Paris öffentlich verbrannt.
III. Simone Weils Leben war im Netz der Fürsorglichkeit ihrer Eltern verfangen. Sie liebten sie, verwöhnten sie, sorgten sich, schickten ihr Pullover, füllten ihren Kühlschrank auf, folgten ihr in den Krieg und verpflanzten sie nach Amerika. Simone stürzte sich in vieles hinein: in Descartes, in Plato, in die Gewerkschaft, den Kommunismus, in Homer, die Theologie und in die Hungerkünste. Sie wollte keine Frau sein. Sie wollte verschwinden. Und einige Aspekte ihres Verschwindens hielt sie vor den Eltern geheim. So waren diese über die Maßen überrascht, als das Telegramm sie erreichte, das ihren Tod meldete: In ihrem letzten Brief noch hatte sie geschrieben, alles sei in bester Ordnung.
Mitwirkende:
Anne Carson und Will Aitken (Regie)
Janning Kahnert
Nora Leschkowitz
Julia Maronde
Marco Matthes
Marko Schmidt
Franziska Schubert
Im Rahmen der internationalen Einstein Forum Konferenz Moral Sense and Literary Sensibility
ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der
FRITZ THYSSEN STIFTUNG und der STIFTUNG PREUSSISCHE SEEHANDLUNG
Die Veranstaltung ist in englischer Sprache
Der Eintritt ist frei