Vortrag
Samstag, 13.5.2023, 12:30h

Achim Landwehr

Beschreibung beschreiben

In Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen findet sich der Satz »Was wir ›Beschreibungen‹ nennen, sind Instrumente für besondere Verwendungen.« Indem ich in dieser Weise eine intellektuelle Autorität zitiere, um den Inhalt meines avisierten Vortrags über das Beschreiben als Praxis zu begründen, habe ich bereits eine Erzählform aufgerufen, noch bevor das eigentliche Erzählen begonnen hat – eine Erzählform, die die Grundlosigkeit, vielleicht auch Unbegründbarkeit des zu behandelnden Gegenstandes dadurch zu kaschieren sucht, dass sie vergangene Autoritäten aufruft.

Die Narratologie versorgt uns vielfach mit Einsichten über unterschiedliche Erzählformen und Erzähltechniken und kann solcherart nicht nur deutlich machen, wie allgegenwärtig das Erzählen ist, sondern auch wie unausweichlich es ist. Solcherart lässt sich recht schnell bei der Binsenweisheit landen, dass man nicht nicht erzählen kann. Wie aber soll man dann vom Erzählen erzählen, ohne selbst schon wieder eine Erzählung aufzurufen? Wenn das unmöglich ist, sollte ich zumindest versuchen, so zu erzählen, dass das Erzählen sichtbar wird. Und genau dabei kann Wittgenstein wiederum helfen.

Neben der Notwendigkeit zur Selbstreflexion als erstem Punkt des Vortrags wird es in einem zweiten Schritt um Fragen der Zeitlichkeit als Voraussetzung wie als Gegenstand von historischen Beschreibungen gehen. Aus Gründen, die im Vortrag zu erläutern sind, gebe ich dem Ausdruck Beschreibung den Vorzug vor dem Ausdruck Erzählung.

Und auch für den dritten Schritt der Argumentation spielt der Wittgenstein-Satz eine nicht unerhebliche Rolle. Denn er ist ja – wie viele Wittgenstein-Sätze – eher seltsam. Man meint zu verstehen, was damit ausgesagt werden soll. Zugleich bleibt aber ein Rest herausfordernde Unverständlichkeit. Ist das noch Philosophie oder schon Lyrik? Damit ist die Möglichkeit eröffnet, nicht nur das interdisziplinäre und internationale Gespräch in Sachen Erzählformen zu suchen, sondern sich auch über die Grenzen der Wissenschaften hinaus zu begeben. Denn angesichts von Normierungen, Quantifizierungen und Digitalisierungen wissenschaftlichen Tuns könnte eine weiterhin bestehende Möglichkeit für wissenschaftliche Erkenntnisse und wissenschaftliche Unvorhersehbarkeiten im Verfolgen ästhetischer Praktiken bestehen. Erzählungen und Beschreibungen bieten hier weiterhin Möglichkeiten – wenn sie sich nicht an etablierten Mustern festklammern, sondern so arbeiten, wie der Maler Max Ernst seine künstlerische Tätigkeit verstanden hat: als sanftes Erdbeben, das die Dinge leicht verrückt. Erzählen und Beschreiben würden sich dann als Praktiken erweisen, die nicht nur nicht umgangen werden können, sondern neue Einsichten überhaupt erst ermöglichen. Meinte das Wittgenstein möglicherweise mit seinen »Instrumente[n] für besondere Verwendungen«? Wer weiß…

Achim Landwehr, geb. 1968, studierte Geschichte, Germanistik und Rechtsgeschichte in Augsburg, Freiburg i.Br., Basel und Dublin. Von 2003 bis 2008 war er zunächst Juniorprofessor, danach Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Neuere Publikationen: Diesseits der Geschichte. Für eine andere Historiographie (2020); Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit (2016); Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert (2014); Kulturgeschichte (2009); Historische Diskursanalyse (vollständig überarbeitete Neuausgabe der Geschichte des Sagbaren, 2008).