Workshop
Mittwoch, 23.2.2011, 16h – 22h

Protest Reloaded. Zur Wandlungsfähigkeit des Protestsongs

Bei dem Wort Protestsong denken wohl viele zuerst an US-amerikanischen Folkmusik, etwa von Woody Guthrie, oder aber – in Deutschland – an die aus der Burg Waldeck erwachsene Liedermacher-Tradition. Damit wird der Protestsong aber sowohl in zeitlicher als auch in musikalisch-stilistischer Hinsicht fixiert und seine inhaltlichen Anliegen umstandslos einem zwar diffusen, aber doch bestimmbaren politischen Milieu zugeordnet. Doch schon wenige, zufällig aus der Musikgeschichte herausgegriffene Beispiele reichen aus, um dies als unangemessene Verengung zu durchschauen. Von dem von Arbeiterchören vorgetragenen Song über Angebot und Nachfrage (Brecht/Eisler, 1930) bis zum Elektro-lastigen Hip-Hop Track Arbeit nervt (Deichkind, 2008) ist es sowohl musikalisch als auch inhaltlich ein weiter Weg. Auch die Gesänge der auf texanischen Baumwollplantagen schuftenden Sklaven (etwa Long Summer Day, Trad.) haben recht wenig mit politisierter Popmusik der jüngeren Zeit wie Dear Mr. President (Pink, 2007) zu tun. Dagegen liegen Original und Cover von Allein machen sie dich ein (Ton Steine Scherben, 1971 und Landser, 1996) musikstilistisch nicht allzu weit auseinander, inhaltlich jedoch haben geringfügige Textänderungen aus der Hausbesetzer-Hymne ein antisemitisches Hetzlied gemacht.
Weder die musikalische Stilrichtung, noch eine bestimmte politische Haltung reichen also aus, um eine eindeutige Identifizierung eines Protestsongs zu ermöglichen. Nicht zufällig, denn populäre Musik wird erst im Verlauf ihrer Rezeption und Deutung zu dem, als das sie interpretiert wird. Gewiss, ein ähnlicher Interaktionsprozess wirkt auch bei anderen künstlerischen Produktionen, tritt aber beim Protestsong oftmals deutlicher zutage. Denn eine nicht unwesentliche Konsumpraxis ist hier die Teilnahme; die Reproduktion und Aneignung der musikalischen Präsentation selbst. Ein Spezifikum von Protestsongs ist, dass sie mit- und nachgesungen werden. Von den erfolgreichsten Protestsongs lässt sich dann zumeist sagen: „X wurde alsbald zur Hymne der Y-Bewegung.“
Ganz unmittelbar stellt sich hierbei die Frage nach der Wandlungsfähigkeit des Protestsongs. Was passiert in diesem Übergang von der Produktion zur Reproduktion; von der Darbietung zur Aneignung? Lässt dieser Prozess den Song selbst unbeschadet davonkommen? Verschiebt sich seine Aussage? Gibt es gar „Protestsongs wider Willen“; also den Intentionen des Komponisten/Interpreten zuwiderlaufende politische Verwendungen? Und wer darf nun was singen, zu welchem Anlass und wie wird dies aufgenommen?

Teilnehmer: Michael Rauhut, Kristiansand; Martin Schaad, Potsdam; Joachim Scheiner, Dortmund; Kristof Schreuf, Hamburg; Hartwig Vens, Berlin