Vortrag
Freitag, 29.4.2011, 17h
Filmhaus am Potsdamer Platz, Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin

Mirjam Schaub

Zureichend, aber nicht notwendig. Zweifel an der psychoanalytischen Aufarbeitung in Bergmans AUS DEM LEBEN DER MARIONETTEN

Auf der Flucht vor der schwedischen Steuerbehörde verschlägt es den Regisseur Bergman zwischen 1976 und 1986 an das Münchner Residenztheater. In dieser Zeit entstehen auch zwei Filme, darunter AUS DEM LEBEN DER MARIONETTEN (BRD 1980). Bergman fällt es nach eigenem Bekunden schwer, nicht länger in seiner Muttersprache arbeiten zu können; er fürchtet die Nuancen seiner Schauspieler nicht ausreichend beurteilen zu können. Also entscheidet er sich – geschult am Dramatiker Heinrich von Kleist (von dem alle folgenden Zitate stammen) – für eine abstrakte Exploration des „Mechanismus“ seiner Figuren, für ein Graphisch-Werden des Geschehens. Als ob er „Myriaden von Fäden an den Fingern“ habe, muss sich Bergman mangels sprachlicher Einfühlung wie ein guter Tänzer und d.h. wie ein „Maschinist in den Schwerpunkt der Marionette“ (in diesem Fall dem Residenztheater-Schauspieler Robert Atzorn) versetzen. Atzorn wiederum kommt in seiner ersten Filmarbeit die spiegelbildliche Aufgabe zu, seinerseits wie ein Ferngesteuerter den Prostituiertenmörder zu geben (statt zu verkörpern). In einem panoptischen profiling des Umfelds (der Mutter, des Psychiaters, der verschonten Ehefrau) wird das Tatmotiv des gutbürgerlichen Ehemannes umzingelt, schließlich als eine scheiternde Übertragung in einer progressiven Zwangsneurose hingestellt. Das mag ein so zureichender wie schlüssiger Grund sein, doch wird daraus nicht zwangsläufig eine Tat. Eher rührt Bergman in diesem Film an die Grenzen der Psychoanalyse. Er überlässt sich dem Luxus oder auch der Gnade einer nicht selbstgewählten Indifferenz (gegenüber dem eigenen Unbewussten und einer fremden Sprache), an deren Rückseite die Möglichkeit aufscheint, Schauspieler wie selbstvergessene Puppen zu animieren, die sich – wie Kleist wusste – im Unterschied zu jenen niemals zieren, weil sich ihre vis motrix (ihre Seele) längst „in irgendeinem andern Punkt“ ihres wohl gegliederten Körpers befindet.

Mirjam Schaub ist z.Zt. Gastprofessorin für Philosophie an der Freien Universität Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen in der Ästhetik und Kunstphilosophie. Neben dem Film interessiert sie die Fruchtbarmachung parteiischer, künstlerischer Positionen für die Philosophie. Gegenwärtig schreibt sie über den – u.a. mit Schaufensterpuppen arbeitenden – Künstler Markus Schinwald (Biennale in Venedig, 2011). Ausgewählte Publikationen: Gilles Deleuze im Wunderland. Zeit- als Ereignisphilosophie (2003); Gilles Deleuze im Kino. Das Sichtbare und das Sagbare (2003); Bilder aus dem Off. Zum philosophischen Stand der Kinotheorie (2005); Das Singuläre und das Exemplarische. Zu Logik und Praxis der Beispiele in Philosophie und Ästhetik (2010).