Lambert Wiesing
Virtuelle Realität. Über die Angleichung des Bildes an die Imagination
Bilder lassen Dinge sichtbar werden, die nicht anwesend sind. Diese Eigenschaft gibt dem Bildbewusstsein eine Zwischenstellung zwischen der Wahrnehmung und der Imagination. Wie bei der Wahrnehmung glaubt der Bildbetrachter etwas zu sehen, aber wie bei der Imagination glaubt er doch nicht an die Anwesenheit des Gesehenen. Aus phänomenologischer Sicht lässt sich die Entwicklung der neuen Medien vor diesem prinzipiellen Hintergrund als der Versuch beschreiben, Bilder zu ermöglichen, die Dinge sichtbar werden lassen, die sich in ihren Eigenschaften für den Betrachter zunehmend den Objekten der Imagination angleichen: Sie werden verfügbar und manipulierbar. Insbesondere der digitalen Animation und Simulation lässt sich in diesem Angleichungsprozess eine besondere Bedeutung zusprechen, die letztlich in dem Versuch mündet, mittels einer virtuellen Realität eine neue Form von Gedankenexperimenten zu ermöglichen.
Lambert Wiesing studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie in Münster; 1989 hat er dort promoviert; 1996 folgte seine Habilitation in Philosophie an der TU Chemnitz; seit 2001 ist er Professor für Vergleichende Bildtheorie in Jena. Buchveröffentlichungen: Stil statt Wahrheit (1991), Philosophische Ästhetik (1992), Die Sichtbarkeit des Bildes (1997), Bild und Reflexion (1997 als Mitherausgeber), Die Uhr (1998), Phänomene im Bild (2000), Abstrakte Fotografie (2000), Philosophie der Wahrnehmung (2002 als Herausgeber).