Vortrag
Mittwoch, 28.11.2012, 19h

Christopher Ryan

Psychologe und Autor, Barcelona

Sex at Dawn. Zur Sexualität des Urmenschen

Gesprächsleitung: Fanny Jimenez, Berlin

Hartnäckig hält sich eine populäre Vorstellung in der Evolutionspsychologie: Einst konkurrierten Männer miteinander, ihr Erbgut möglichst weit zu streuen, während sie gleichzeitig versuchten, ihre Vaterschaft zu sichern, indem sie mindestens eine Frau beherrschten; Frauen hingegen suchten sich einen zuverlässigen Versorgertypen aus, um sich danach insgeheim mit genetisch überlegenen Alphatieren zu paaren. Aus diesen unterschiedlichen biologischen Imperativen soll die heutige sehr verbreitete Tendenz zur Monogamie – und nicht weniger verbreitete Tendenz zum Seitensprung – erklärt werden.
Christopher Ryan setzt diesem von Kampf und Betrug ausgehenden Erklärungsmuster eine Rousseausche Deutung entgegen: Für mehr als 2,5 Millionen Jahre lebten die Menschen in kleinen nomadischen Gruppen, deren Überleben auf kollektives Handeln und gemeinsame Nutzung natürlicher Ressourcen angewiesen war. Frauen und Männer lebten dabei offen polygam; die Kinder wuchsen in der Obhut der Gemeinschaft heran. Erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft und des Privateigentums vor etwa 20000 Jahren mussten die Menschen um knappe Ressourcen kämpfen, und damit wurden – so Ryan – genetisches Eigeninteresse und monogames Verhalten zur Norm.

Christopher Ryan erforscht den Grenzbereich zwischen Biologie und Kultur. Seine Doktorarbeit über die Sexualität des Urmenschen diente als Vorlage zu Sex at Dawn (2010, mit Cacilda Jethá), einem Buch, das in kürzester Zeit auf der Bestseller-Liste der New York Times geführt wurde. Seine anderen Beiträge zum Thema sind in Behavioral and Brain Sciences, Psychology Today und Huffington Post erschienen. Im September wurde ein Essay Ryans zur Zukunft von Sex in der deutschsprachigen Print-Ausgabe des European veröffentlicht.

Fanny Jimenez ist Journalistin in der Wissenschaftsredaktion von Welt und Welt am Sonntag. Sie promovierte in Psychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung zu Persönlichkeit und sozialen Beziehungen.