Vortrag
Freitag, 11.11.2016, 12:30h

Dr. Nimrod Reitman

„I am Walking Back to Myself” – When Love Stops Singing

Ein berühmter Satz des Psychoanalytikers Jacques Lacan heißt: “Liebe stößt immer auf Gegenliebe“. Lacan bestimmt aber nicht, wofür genau man die Gegenliebe erwartet. Der Vortrag beschäftigt sich mit zwei Liebesliedern, die Liebe als ein notwendiges Manöver betrachten, um etwas wieder in Ordnung zu bringen, als eine Ausdrucksweise oder einen Topos, bei denen ein Zustand geklärt werden kann, ohne die Liebenden zu verletzen, obwohl es für jeden Akt der Liebe notwendig ist, sich verwundbar zu zeigen und sich auszusetzen. In der Form des love songs befriedet Liebe den ursprünglichen Zorn und die verzehrende Angst, während sie gleichzeitig auch eine Politik mit einbezieht, die auf der Fähigkeit beruht, –musikalisch eingestimmt – Liebe zu benennen, einen Liebhaber zu lokalisieren und alle Arten des Begehrens zu kartieren. Die Liebe muss allerdings als ein Ort des Begehrens – sexuell, rhetorisch, politisch, poetisch – zurückkehren, um die eigene Position in der Welt als ein Mit-Sein zu sichern. Wie in Nietzsches Begriff der ewigen Wiederkehr, ist das, was wiederkehrt, nicht das, was vom Begehren gefordert wurde. In der Tat wird die Liebe – trotz des Lacan’schen Begehrens – nicht immer erwidert –, und selbst wenn sie erwidert wird, muss man immer noch erkunden, welcher Anteil von ihr zurückkommt und zu wem.
Im Mittelpunkt des Vortrags stehen zwei Liebeslieder-Gedichte, geschrieben von der israelischen Dichterin Lea Goldberg und der amerikanischen Singer-Songwriterin Nina Simone, die sich beide mit der Enttäuschung unerwiderter Liebe auseinandersetzen, nun in der Form eines „return to sender“. Untersucht werden die rhetorischen und die psychoanalytischen Aspekte, die die Enttäuschung über die Unfähigkeit, geliebt zu werden, beherrschen sowie die vom Hass getragene Liebesbeziehung zwischen Musik und Text, und der Liebesdiskurs, den sie scheinbar aufführen und gleichzeitig zurückweisen.

Nimrod Reitman ist Wallace Fellow an der Villa I Tatti, dem Harvard University Center for Italian Renaissance Studies. Er studierte zunächst Medizin, von 2005–2010 dann Philosophie am Cohn Institute for History and Philosophy of Science and Ideas der Tel-Aviv University. Seine musikalische Ausbildung als Pianist absolvierte er an der Buchman-Mehta Music School in Tel Aviv, der Royal Academy of Music in London und der Rubin Music Academy in Jerusalem. 2015 wurde er am Department of German der University of New York mit der Arbeit On the Serious Motherhood of Men: Dissonance in Music, Rhetoric, and Poetry promoviert. Im Sommer 2016 war er Albert Einstein-Fellow in Caputh. Zur Zeit schreibt er an einem Buch über die Rhetorik von Klageliedern und eine Studie über die Gedichte Ingeborg Bachmanns.