Vortrag
Dienstag, 17.10.2017, 19:00h

Dr. Matthias Wittmann

Wissenschaftlicher Assistent, Seminar für Medienwissenschaft, Universität Basel

Gegenerinnerungen. Sozialkritik im iranischen Kino nach 1988

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Ursula von Keitz, Potsdam

Jene Filme, mit denen das iranische Kino um 1988 auf der Karte des sogenannten Weltkinos wieder auftauchte – u.a. Abbas Kiarostamis Where is the Friend’s Home? (1987) oder Bahram Beizaies Bashu (1986/89) –, waren nicht nur Filme nach der Revolution (1979), sondern auch Filme aus einer Gesellschaft im und nach dem Krieg, dem längsten nach traditionellen Maßstäben geführten Krieg des 20. Jahrhunderts (dem ersten Golfkrieg 1980-88). Seine Spuren reichen bis in die Gegenwart des iranischen Films, sowohl des staatstragenden Kinos der heiligen Verteidigung (cinema-ye defa’-e moqaddas) als auch jenes „cinema of reform“ (Blake Atwood), das die offiziell etablierten, regimekonformen Nachbilder von Revolution und Krieg mit subversiven Gegenbildern konfrontierte.
Auch wenn die Architekten der Islamischen Republik alles taten, um die Filmindustrie in den Dienst einer „sensorial reeducation“ (Negar Mottahedeh) zu stellen und das Sagbare, Sichtbare und Erinnerbare nach Maßgabe der „Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (welâyat-e faqih) zu uniformieren, finden sich im iranischen Kino zahlreiche dissidente Filme, welche die Ideale der Revolution und die märtyrologische Begründung des Krieges mit den sozialen Ungleichgewichten und Widersprüchen der Nachkriegszeit konfrontierten. Nach Schlaglichtern auf die Geschichte des komplexen Verhältnisses von Zensur und Ästhetik im iranischen Kino nach 1979 sollen filmische Formen des Gegenerinnerns (Foucault) innerhalb und außerhalb des staatlich kontrollierten Kinos vorgestellt werden: Gegenerinnerungen, welche die Versprechen der Revolution nach Zeiten des Krieges als uneingelöst verhandeln, zu finden u.a. in Filmen von Abbas Kiarostami, Rakshan Bani-Etemad und Massoud Bakhshi.

Matthias Wittmann, Medienwissenschafter, Filmkurator und Essayist, derzeit Assistent am Seminar für Medienwissenschaft (Basel). Zu seinen For-schungsschwerpunkten zählen u.a. Filmästhetik, mediale Mnemographien und (D-)3D-Kino. Er forscht derzeit im Rahmen des vom SNF geförderten Projektes Nachbilder von Revolution und Krieg. Trauma- und Memoryscapes im postrevolutionären iranischen Kino. Karsten-Witte-Preisträger (2016); Autor u.a. von MnemoCine. Die Konstruktion des Gedächtnisses in der Erfahrung des Films (2016).