Vortrag
Freitag, 14.12.2012, 12:30h

Michael Maurer

Emotionen und Identität in der öffentlichen Festkultur

Ausgehend von Beobachtungen zum öffentlichen Trauern um Diana nach ihrem Unfalltod 1997 wird auf den medialen spin öffentlich inszenierter Emotionen hingewiesen. Beim aktuellen Stand unserer Medienkultur scheinen öffentliche Feste (vor allem im Zusammenhang mit dem Sport) weitgehend zweckfrei. Doch das öffentliche Fest legitimiert sich nur durch seine Geschichte und lebt noch heute, ohne sich dessen bewusst zu sein, von seiner Vergangenheit. Im bürgerlichen Zeitalter war kein Fest denkbar ohne eine ‚Botschaft‘. Und politische Macht manifestierte sich in gelungenen Inszenierungen von Festen und durchgreifender Emotionsregie.
Emotionssteuerung ermöglicht einerseits Teilhabe des Individuums an kollektiven Erlebnissen, entlastet andererseits vom Leiden an der Individuierung. Teilhabe an öffentlichen Festen bedeutet Annehmen eines Identifikationsangebotes durch eine Gruppe, Gemeinschaft, Gesellschaft. Indem der Staat als Institutionalisierung der Nation das Angebot einer größtmöglichen Partizipation macht, fasst er auch die partiellen Identifikationsangebote von Vereinen, Gruppen usw. zusammen; er übergreift sie und hebt sie auf. Die ältere Einheit von Fest und Religion wird im öffentlichen Fest der Epoche des Nationalismus säkularisiert und transzendiert.
Die neuzeitliche Geschichte des öffentlichen Festes muss man sich eingeschrieben denken in eine Medienkulturgeschichte. Die rasante Entwicklung der Medien, vor allem in den letzten beiden Jahrhunderten, transformiert das Festgeschehen von Phase zu Phase. Obwohl sich die Emotionalität von Festen letztlich nur am einzelnen Festteilnehmer verwirklichen kann, bieten die Medien doch ganz neue Möglichkeiten der Emotionsregie, der Synchronisierung von Stimmungen, der politisch-ideologischen Lenkung. Politisch liegt es vielleicht in unser aller Interesse, dass die medial produzierten Höhepunkte der Emotionalität heute mit Identität nur noch locker verbunden sind.

Michael Maurer, geb. 1954 in Tennenbronn/Schwarzwald. Professor für Kulturgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Tübingen und London. Promotion in Tübingen 1986; Habilitation in Essen 1993. Bennigsen-Foerderpreis zur Förderung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Nordrhein-Westfalen; Heisenberg-Stipendiat in Göttingen; seit 1994 lehrt er an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Neuere Publikationen u.a.: Geschichte Englands (2000); Aufriß der Historischen Wissenschaften (7 Bde. 2001–2005); Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik (Mit-Hrsg. 2004); “Im Schaffen genießen”. Der Briefwechsel der Kulturwissenschaftler Eberhard und Marie Luise Gothein (1883-1923) (Mit-Hrsg. 2006); Eberhard Gothein (1853-1923). Leben und Werk zwischen Kulturgeschichte und Nationalökonomie (2007).