Vortrag
Mittwoch, 27.2.2002, 19:00h

Andreas Magdanz

Fotograf, Aachen

Die Dienststelle Marienthal

Ein Regierungsbunker als kulturhistorisches Monument

Gesprächsleitung: Dr. Martin Schaad, Potsdam

Unter dem Trotzenberg im Ahrtal befindet sich die Dienststelle Marienthal: ein Labyrinth unterirdischer Stollen mit einer Gesamtfläche von nicht weniger als 83.000 Quadratmetern. Unter anderem findet man hier 936 Schlafzellen, 897 Büros, fünf Großkantinen, fünf Kommandozentralen, fünf Sanitätsbauwerke, zwei Fahrradabstellhallen, eine Druckerei, einen Friseursalon sowie einen Raum für ökumenische Gottesdienste. Fünf völlig autarke Sektionen sollten für rund 3.000 Militärs, Verwaltungsbeamte, Parlamentarier und Regierungsmitglieder eine Lebensgarantie von 30 Tagen gewähren.

In dem 1972 fertiggestellten Bunker manifestiert sich ein in Verwaltungsvorgängen verschleierter, doch letztlich von Angstphantasien getragener Machtwille, mit dem die Regierbarkeit selbst der nuklearen Wüste realistisch simuliert werden konnte. Dass dieser aberwitzige Machtwille auch weiterhin virulent ist, wurde erst kürzlich wieder deutlich. Bis zum Sommer letzten Jahres verhallten alle Mahnungen zum Erhalt des nach Regierungsumzug unnötigen Bauwerks. Ganz im Gegenteil; in seltener Einmütigkeit hatten Denkmalschutzbehörden und Bundesregierung den über DM 80 Millionen teuren “Rückbau” der Dienststelle besiegelt. Auch das vielbeachtete Buch von Andreas Magdanz, mit dem der Fotograf als einziger die Dienststelle im Originalzustand dokumentiert hat, konnte daran nichts ändern. Das kulturhistorisch wohl bedeutungsvollste Monument der Perversion des Kalten Krieges schien verloren.

Sofort nach den Anschlägen vom 11. September jedoch wurde die Umnutzung des Bunkers zu einem logistischen Lagezentrum erwogen. Sollte Marienthal tatsächlich als Folge der tragischen Ereignisse in den USA, im Wahnwitz der inneren Sicherheit, wiederbelebt werden? Allein die Diskussion darüber zeigt den Rückfall in die grotesken Denkstrukturen des Kalten Krieges.