Glenn Most
Der Finger in der Wunde. Zur Geschichte des Ungläubigen Thomas
Was wissen wir eigentlich wirklich von jenem berühmten – und berüchtigten – Apostel, der im Johannesevangelium „Thomas der Zwilling“ heißt und gemeinhin der „Ungläubige“ genannt wird? Jeder weiß, dass er es war, der dem auferstandenen Jesus den Finger in die Wunde legte – aber was steckt in und hinter dieser Geste? Untersucht man die zahlreichen, im Verlaufe von Jahrhunderten entstandenen Berichte genauer, stößt man schnell auf überraschende Paradoxien und Brüche, die sich aus den kreativen Umformungen, Verfeinerungen und Auslassungen im Laufe der Zeit entwickelt haben: Aus Thomas wurde ein gnostischer Heiliger, Missionar Indiens, Hüter der Rechtgläubigkeit und Helden des Skeptizismus; aber er war ebenfalls das negative Sinnbild für den Zweifel, für Blasphemie, Dummheit oder gar Gewalt. Mehr als andere gewähren die Geschichten vom Ungläubigen Thomas Einblick in die komplexen Beziehungen zwischen Texten und deren Interpretationen. Und sie verraten uns viel über Glauben, Liebe, Identität, Körper, Zwillinge und andere Themen.
Glenn Most ist seit 1996 Professor im Committee on Social Thought an der University of Chicago und lehrt seit 2001 Gräzistik an der Scuola Normale Superiore di Pisa. Er hat Abhandlungen und Aufsätze zur Klassischen Philologie, zur Geschichte der Altertumswissenschaft und zur Literaturtheorie verfasst. 1994 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1988/1989 war er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Seine 2005 auf Englisch erschienene Monographie über den Ungläubigen Thomas erschien 2007 in deutscher Sprache unter dem Titel Der Finger in der Wunde.
Eine Gemeinschaftsveranstaltung mit dem Wissenschaftskolleg zu Berlin