Vortrag
Dienstag, 2.6.2015, 19h

Jonathan P. J. White

Associate Professor in European Politics, London School of Economics and Political Science; zzt. Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin

Democracy’s Rhythm

Gesprächsleitung: Dr. Martin Schaad, Potsdam

In vielen Alltagssituationen begegnen wir dem Muster regelmäßiger Wiederholung. Von der Musik bis zu den Bewegungen des Körpers sind unsere Erfahrungen rhythmisch strukturiert. Dies gilt gleichermaßen für die Politik. Wahlperioden und Sitzungskalender sind von zentraler Bedeutung im Institutionengefüge moderner Demokratien. Die Zyklen erstrecken sich hier oft über Wochen, Monate oder Jahre: ein Hinweis darauf, dass die demokratische Entscheidungsfindung nicht nur der Regelmäßigkeit, sondern auch der Bedachtsamkeit bedarf.
Jonathan White untersucht zunächst die Bedeutung institutioneller Zeitstrukturen als Voraussetzung für repräsentative Demokratie. Erst die Periodizität der Verfahren habe den demokratischen Widerstreit der Ideen organisiert und legitimiert und damit zu der charakteristischen Dynamik zwischen Regierung und Opposition geführt. Demokratie ohne Rhythmus sei schlicht undenkbar. Seit kurzem jedoch erscheint die Zeitlichkeit der Demokratie durch das Aufkommen unregelmäßiger Formen der Entscheidungsfindung in Gefahr zu geraten. Oftmals steht die Exe-kutive nur noch eingeschränkt unter Aufsicht, und der institutionelle Rhythmus von parlamentarischer Debatte und Kontrolle verliert an Bedeutung. Wenngleich es sich wohl um einen globalen Trend handelt, wird diese Umstrukturierung der Zeitlichkeit nirgends deutlicher als in der Handhabung der Euro-Krise. Von Regeln und Normen kaum noch eingeschränkt, trifft die Exekutive hier Adhoc-Entscheidungen, setzt willkürliche Ultimaten, sichert sich unbefristete Mandate und etabliert Politikregime von unbegrenzter Dauer. Lässt sich die überkommene Zeitlichkeit der parlamentarischen Demokratie noch bewahren und gegebenenfalls an die veränderten Bedingungen anpassen? Oder brauchen wir vielleicht neue Formen der Demokratie, die weniger abhängig davon wären, dass Rhythmen die Willkür zähmen?

Jonathan White ist Associate Professor (Reader) in European Politics an der London School of Economics and Political Science. Er promovierte am Europäischen Hochschulinstitut (EUI) in Florenz und war Gastwissenschaftler am Wissenschaftskolleg zu Berlin, an der Kennedy School of Government der Harvard University, der Sciences Po in Paris, der Australian National University, der Humboldt-Universität und am Institut für Internationale Beziehungen in Prag. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen politische Soziologie und angewandte politische Theorie, mit Schwerpunkt auf modernen europäischen Demokratien und der Europäischen Union