Vortrag
Samstag, 13.12.2008, 11:30h

Heiko Christians

Professor für Medienkulturgeschichte, Universität Potsdam

Aufsteigen, aufwallen, entbrennen? Zur medialen Zubereitung des Zorns

Bei der Leitfrage nach einer »sich verändernden emotionalen Signatur der Zeit« müssen einem zwangsläufig die beständig und in immer kürzeren Abständen evolutionierenden medialen Verhältnisse einfallen. Welches Medium setzt den Zorn in Umlauf und hält ihn in einer bestimmten Fassung in der Kommunikation? Gibt es ein Buchzeitalter des Zorns, das heute noch mit kanonisierten Ausläufern in die digitalen Verhältnisse ragt? Können Zornformate adaptiert oder transferiert werden? Gibt es spezifische mediale Bedingungen des Zorns, die uns etwas über seinen Aufbau, seine Stabilität, seine Macht verraten? Die thymotische Ökonomie, die »Zornwirtschaft«, von der Peter Sloterdijk spricht, notiert ihre Guthaben und Außenstände unter wechselnden medialen Rahmenbedingungen, auf wechselnden Materialien.
Gedanken über den Zorn aus der moralistisch-essayistischen Schule können in ein Baukastenwissen von seiner Arbeit und Darstellbarkeit übersetzt werden, das dann in seiner Korrelierbarkeit mit dem (mündlichen) Wissen des Märchens, dem (gedruckten) der Literatur und dem (bewegten) der Filmbilder ausgeführt werden soll. Beinah wie den antiken Achill zerreisst der übermächtige Zorn im Märchen den Rumpelstilz, in der Literatur hat sich vor allem der Realismus des 19. Jahrhunderts den Zorncharakteren gewidmet, in der Filmgeschichte ist es Werner Herzogs längst sprichwörtlich gewordene ‘Lieblingsfeindschaft’ (mit Klaus Kinski), die sich wie ein Epos über mediale und geschmackliche Grenzen hinwegsetzt und damit in die jüngere Kulturgeschichte des Zorns eingeschrieben hat.

Heiko Christians, geb. 1963, studierte Germanistik, Philosophie und Niederlandistik in Köln; 1996–2002 Wissenschaftlicher Assistent an der Universität zu Köln; 2002–2006 Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Potsdam am neu gegründeten Institut für Künste und Medien; 2006–2008 Vertretung der Professur für Medienkulturgeschichte, seit 2008 Professor für Medienkulturgeschichte an der Universität Potsdam. Ausgewählte Veröffentlichungen: Über den Schmerz. Eine Untersuchung von Gemeinplätzen (1999); Der Traum vom Epos. Romankritik und politische Poetik in Deutschland 1750–2000 (2004); Amok. Geschichte einer Ausbreitung (2008).