Vortrag
Freitag, 27.1.2023, 11:45h

Sandra Schell

Heidelberg

Aufbrüche und Enttäuschungen im Zeichen der ›Wende‹. Am Beispiel des Leipziger Literaturwissenschaftlers Günter Mieth (1931–2013)

Günter Mieth, Ordinarius für Deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts an der Karl-Marx-Universität Leipzig, hatte sich bereits vor dem Herbst 1989 um die wissen-schaftliche Öffnung seines Lehrstuhls nach Westen bemüht und ein Netzwerk westeuropäischer und transatlantischer Wissenschaftskontakte aufgebaut. Insbesondere in der Hölderlin-Forschung war er als Editionsphilologe international anerkannt. Die ›Wende‹ konnte er mithin als Moment des Aufbruchs begrüßen, doch dem Optimismus folgte rasch die Ernüchterung: Ende September 1990 gab Mieth seine vorzeitige Emeritierung für 1991/92 bekannt, sein Lehrstuhl wurde im Zuge der Transformationsprozesse weitgehend ›abgewickelt‹.
Wie ist das ›Scheitern‹ dieser Selbstreformversuche zu bewerten? Wie sahen die Initiativen der Wiederannäherung aus? Wie verhalten sich Mieths Interpretations- und Editionspraktiken zu den internationalen, insbesondere westdeutschen Handlungs- und Kommunikationsräumen der Hölderlin-Forschung? Meine personenzentrierte Fallstudie widmet sich, gestützt auf Archivmaterial, diesen Fragen und beleuchtet, inwiefern sich an Mieths Lehrstuhlarbeit allgemeinere Transformationsfriktionen im Zuge des Personalumbaus der ostdeutschen Geisteswissenschaften kristallisieren.

Sandra Schell studierte Germanistik und Anglistik in Stuttgart, Bergen und Heidelberg. Im Bereich Neuere Literatur der Universität Heidelberg arbeitet sie an einer Dissertation zum Thema »West-westliche Verflechtungen im Zeichen des Kalten Kriegs. Zum Wechselverhältnis deutscher Literatur und US-amerikanischer Reeducation-Maßnahmen«. Ein weiteres Forschungsinteresse gilt der Fach- und Wissenschaftsgeschichte der Germanistik, insbesondere der Geschichte der Hölderlin-Gesellschaft. Schell ist Mitglied im Netzwerk »Akademische Archive«, in dem Nachwuchswissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen gemeinsam die Praxisgeschichte der Geisteswissenschaften erforschen.
https://www.uni-heidelberg.de/fakultaeten/neuphil/gs/ndl/albrecht/mitarbeiter/Schell.html