Vortrag
Freitag, 1.7.2005, 16h

Felix Mühlhölzer

Georg-August-Universität Göttingen

Wittgenstein und der Formalismus

Obwohl der späte Wittgenstein mit Freges beißender Kritik am Formalismus in der Philosophie der Mathematik in wichtigen Hinsichten übereinstimmte, sah er sich doch selbst am Ende zu einer Auffassung veranlasst, die man durchaus als eine Variante des Formalismus betrachten kann. Dies zeigt sich besonders deutlich in Teil III seiner Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, wo er eine Sicht von mathematischen Beweisen entwickelt, die auffallende Ähnlichkeiten mit derjenigen Hilberts aufweist: Beweise werden als anschauliche Figuren angesehen, die sich durch eine charakteristische „Übersichtlichkeit“ auszeichnen. Anders jedoch als der Mathematiker Hilbert, der zu dieser Übersichtlichkeit vergleichsweise wenig zu sagen hat, widmet Wittgenstein ihr eine akribische philosophische Analyse, welche zu Konsequenzen im Hinblick auf mathematische Grundlegungsprogramme führt, die Hilbert vermutlich nicht akzeptiert hätte.

Felix Mühlhölzer ist Diplom-Mathematiker, wurde bei Wolfgang Stegmüller über den Zeitbegriff in der Relativitätstheorie promoviert und habilitierte sich an der Universität München über Thomas Kuhns Begriff der Inkommensurabilität. Er war von 1993 bis 1997 Professor für Wissenschaftstheorie und Logik an der Technischen Universität Dresden und ist seitdem Professor für Philosophie an der Universität Göttingen. Hauptarbeitsgebiete: Raum-Zeit-Philosophie; wissenschaftliche Revolutionen; Philosophie der Mathematik; Quines Naturalismus; philosophische Methode des späten Wittgenstein, insbesondere in dessen Philosophie der Mathematik; Probleme der Objektivität in den exakten Wissenschaften; die Rolle des Begriffs der Lebenswelt für unser Verständnis der Wissenschaften.