Podiumsdiskussion
Dienstag, 4.7.2017, 19h

Markus Messling, Georg Toepfer

Stellvertretender Direktor, Centre Marc Bloch, Berlin / Leiter des Forschungsschwerpunkts Lebenswissen, Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin

Wieder salonfähig? Geschichte und Begriff der Rasse in den Wissenschaften

Gesprächsleitung: Dr. Rüdiger Zill, Potsdam

Die Vorstellung, dass das Denken bluts- und abstammungsgebunden sei, war ein Beitrag der Wissenschaften vom Menschen zum nationalsozialistischen Rassenwahn. Als analytische Kategorie ist der Begriff „Rasse“ daher in Europa nach 1945 aus politischen wie erkenntnistheoretischen Gründen destruiert worden. Das gilt allerdings durchaus nicht systematisch; nur ein Beispiel: Der Diercke Weltatlas für die Schulen von 1976 zeigt neben vielen anderen Weltkarten noch eine solche der „Rassen“. Selbst in manchen biologischen Lehrbüchern wird der Rassebegriff bis in die 1990er Jahre ausdrücklich verteidigt. In vielen Kontexten hatten Rassen-Konzepte ohnehin ihre soziale Wirksamkeit behalten, vor allem da, wo es um ethnisch kodierte Diskriminierungspolitiken ging, etwa in den USA, wo der Begriff „race“ nicht nur bis heute zur offiziellen Bevölkerungspolitik gehört, sondern in den verschiedenen Kämpfen um Anerkennung von Minderheiten auch emanzipatorisch gewendet wurde. So hat der Kulturtheoretiker Paul Gilroy darauf hingewiesen, dass der Begriff nicht schlicht als ethisch verbraucht vorausgesetzt werden kann, sondern als erkenntnistheoretisch problematisch aufgezeigt werden muss. Dies gilt umso mehr unter den Vorzeichen unserer Gegenwart, in der Konzept und Begriff, implizit wie explizit, in zahlreichen Kontexten wieder aufgegriffen worden sind, von Thilo Sarrazins demografischen Obsessionen bis zur Genforschung und Evolutionstheorie, von der DNA-Paläontologie bis hin zu völkischen Nationskonzepten.

Markus Messling studierte Romanische Philologie und promovierte an der Freien Universität Berlin. An der Universität Potsdam war er danach Leiter der Emmy Noether-Nachwuchsgruppe Philologie und Rassismus im 19. Jahrhundert, aus der auch seine Habilitation Gebeugter Geist. Rassismus und Erkenntnis in der modernen europäischen Philologie (2016) hervorging.

Georg Toepfer studierte Biologie und Philosophie in Würzburg, Buenos Aires und Hamburg. Habilitiert wurde er für das Fach Philosophie an der Universität Bamberg. Er ist u.a. der Autor des Historischen Wörterbuchs der Biologie (3 Bde., 2011) und von Evolution (2013).