Lecture
Thursday, Dec 15, 2011, 7 PM

Christian Demand

Professor für Kunstgeschichte, Akademie der Bildenden Künste, Nürnberg

Was ist das Gute an der „Guten Form“? Zur ethischen Legitimation des Ästhetischen

Gesprächsleitung: Prof. Dr. Karlheinz Lüdeking, Berlin

Nach Vitruv zeichnet sich gute Architektur durch solide Konstruktion, eine zweckmäßige Anlage und gefällige Formgebung aus. Um diese drei Kriterien kreisen bis heute alle interessanten Debatten über architektonische Qualität. Über die Solidität und Funktionalität von Gebäuden lässt sich meist auf rational-diskursivem Wege Konsens erzielen. Für die Frage nach der Gefälligkeit der Form aber berufen sich alle Parteien gleichermaßen auf die Souveränität des eigenen ästhetischen Empfindens. Ein Dissens darüber, ob eine gestalterische Lösung gelungen ist oder nicht, lässt sich deshalb in der Regel mit argumentativen Mitteln nicht auflösen. Merkwürdigerweise drehen sich nun aber die allermeisten öffentlich geführten Qualitätsdebatten um die formale Gestaltung von Gebäuden, also um dasjenige der drei Vitruvischen Kriterien, das sich für eine begriffliche Auseinandersetzung am wenigsten eignet. Untersucht man derartige Diskurse genauer, so stellt man fest, dass dabei in den seltensten Fällen über die rein ästhetische Dimension gesprochen wird. Sie drehen sich vielmehr um die Frage, welche ethisch-moralischen Botschaften das jeweils in Frage stehende formale Vokabular transportiert. Deutlicher noch als bei der äußeren Hülle zeigt sich das, wenn es um den inneren Kern geht: Die Literatur zur Gestaltung des privaten Wohnraums thematisiert die gute Form als Zeichen für ein gutes Leben und präsentiert sich dementsprechend über weite Strecken als moralische Umerziehungslektüre, und das, wohlgemerkt, unabhängig von der weltanschaulichen Position der Autoren. Wie diese ethische Kodierung des Ästhetischen funktioniert und welche Form der Beweisführung sich auf dieser Basis etablieren lässt, kann man exemplarisch anhand ausgesuchter Beiträge aus Fachzeitschriften der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erörtern.