Lecture
Saturday, Dec 13, 2008, 2 PM

Hermann Kappelhoff

Professor für Film- und Mediengeschichte und Medientheorie, Freie Universität Berlin

Kalkulierte Raserei. Der Zorn des Rekruten im Kriegsfilm

In klassischen Kriegsfilmen bezeichnet der Wutausbruch des Rekruten einen Umschlagpunkt, der ihn gleichsam erst in den Stand versetzt zu töten. Er wechselt seinen Zustand, verwandelt sich. Er ist fortan ein Soldat, der, getrieben von heiligem Zorn, alle Beschränkungen zivilen menschlichen Zusammenlebens hinter sich lässt und nur noch mühsam durch die groben Disziplinierungsmittel des Militärs im Zaum gehalten wird. Sein Zorn scheint notwendig, ja er scheint ihn erst zu einem funktionstüchtigen Soldaten zu machen; dieser Zorn ist bewusst erzeugt und folgt einem prekären Kalkül: In den Unterwerfungsritualen des militärischen Drills wird die gezielte Demütigung des Soldaten durch die eigenen Leute als Herstellung und Quelle des Zorns thematisiert, die in der Angst vor oder in der Empörung über die Taten des Feindes nur noch einen letzten Auslöser findet. Eben dieses, die eingeübte und geplante Raserei, wie der äußerst prekäre Zustand, der darin erreicht wird, bildet den dramatischen Fokus zahlreicher Kriegsfilme. Im Massaker, der Gräueltat, in der Wendung gegen sich selbst oder die eigenen Leute, schließlich in der Unfähigkeit sich in eine zivile Person zurück zu verwandeln, wird der Zorn als ein Zustand dargestellt, der den Soldaten zu einer Grenzfigur zwischen menschlichem und unmenschlichem Dasein werden lässt.

Hermann Kappelhoff, geb. 1959, studierte Theaterwissenschaft, Publizistik, Germanistik und Italienisch an der Freien Universität Berlin, Promotion 1993 in Berlin, Habilitation 2001. Lehrtätigkeit an der Freien Universität Berlin und an der Universität Jena. 2001–2003 Hochschuldozent an der Universität Leipzig. Seit 2003 Professor für Film- und Mediengeschichte und Medientheorie am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität Berlin. Seit November 2007 ist er Principal Investigator im Exzellenzcluster Languages of Emotion der Freien Universität Berlin. Publikationen u.a.: Der möblierte Mensch. G.W. Pabst und die Utopie der Sachlichkeit. Ein poetologischer Versuch zum Weimarer Autorenkino (1993); Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit (2004).