Lecture
Thursday, Jan 13, 2005, 7:00 PM

Ulrich Müller

Dozent am Kunsthistorischen Seminar der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Einstein und die künstlerische Avantgarde

Theo van Doesburg, Herausgeber der niederländischen Kunstzeitschrift De Stijl, veröffentlichte 1922 einen Vortrag mit dem Titel “Der Wille zum Stil”. Dort setzte er sich erstmals mir der Relativitätstheorie Einsteins auseinander und wirkte damit überaus anregend auf eine Vielzahl von Künstlern. Sein Interesse an der Theorie Einsteins galt dabei weniger den argumentativen Details der Theorie als vielmehr ihren Ergebnissen, etwa der erschlossenen Einheit von Raum und Zeit oder auch der Folgerung vom energetischen Charakter der Materie.
Das Interesse des Künstlers lässt sich nur aus den spezifischen Formen seines eigenen Denkens erklären. In der Zusammenführung von Raum und Zeit erblickte er eine bezwingende Synthese der zuvor fundamental geschiedenen Sphären, die sich in die Struktur analogischer Größen, um die sein Denken kreiste, einreihen ließen. Aus der konstatierten Union von Raum und Zeit folgerte er, dass die Bestimmungen der klassizistischen Kunsttheorie, wonach Poesie und Musik nur in der Zeit, die bildenden Künste dagegen nur im Raum existierten, nicht aufrecht zu erhalten sei. Sollte das Kunstwerk mit der erkannten vierdimensionalen Wirklichkeit der theoretischen Physik in Einklang stehen, musste der bildende Künstler nach Wegen suchen, seinem Werk die Zeitdimension zu erschließen. Damit entfernte er sich von Einstein, dessen weitgehend unverstandene Theorie die Künstler gleichwohl herausforderte, den überkommenen Kunstbegriff zu revidieren.

Im Anschluss an den Vortrag wird die Ausstellung Architektur für Albert Einstein eröffnet.