Vortrag
Freitag, 7.5.2004, 15:00h

Rüdiger Zill

Einstein Forum, Potsdam

“Eine Frage der Identität”. Tarnung und Täuschung im Thriller

Dass etwas nicht so ist, wie es zu sein scheint, zeichnet nicht nur den Kriminalroman von Anfang an aus, sondern auch den Spionagethriller. Eine der ersten Sherlock-Holmes-Geschichten heißt nicht umsonst “Eine Frage der Identität” oder genauer “A Case of Identity”: Der Böse erscheint als er selbst und zugleich als ein anderer. Maurice Leblancs Meisterdieb Arsène Lupin schlüpft sogar in so viele verschiedene Rollen, dass er am Ende selbst nicht mehr weiß, wer er eigentlich ist. Im Spionageroman John Buchans nimmt die Mimikry geradezu pathologische Züge an: Der Spion tarnt sich nicht durch falsche Bärte oder Perücken, sondern durch sein mimetisches Verhalten. Was er zu entwenden versucht, sind dann auch nicht konkrete Ideen oder Güter, sondern den way of life, keine Blaupausen, sondern die nationale Identität. Mit diesem Muster arbeitet schließlich noch die gegenwärtige Literatur, so etwa Philip Roth in The Great American Novel oder Paul Auster in Stadt aus Glas.

Rüdiger Zill ist Wissenschaftlicher Referent am Einstein Forum, Potsdam. Er studierte Philosophie, Geschichte und Soziologie an der Freien Universität Berlin und am Warburg Institute London. 1994 Promotion in Berlin mit der Arbeit Meßkünstler und Rossebändiger. Zur Funktion von Modellen und Metaphern in philosophischen Affekttheorien. 1994-1997 Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Technischen Universität Dresden. Ausgewählte Publikationen: (Hg. zus. m. Th. Schäfer und U. Tietz) Hinter den Spiegeln. Zur Philosophie Richard Rortys (2001); Mitherausgeber der Reihe Erbschaft unserer Zeit in der edition suhrkamp

Vortrag im Rahmen des Workshops “Under Cover. Literarische Ermittlungen zum Thriller“.