Lecture
Tuesday, May 6, 2014, 5:15 PM

Matthias Tischer

Professor für Ästhetik und Kommunikation, Hochschule Neubrandenburg

Neue Musik in der DDR

Ausgehend von der Kulturpolitik der Sowjetunion wurde in der DDR (deutlich rigider als etwa in Polen oder Ungarn) der seit Platons Staat Versuch unternommen, eine staatliche Poetik und Ästhetik zu implementieren. Die nach ihrem propagandistischen Verkünder A. A. Schdanow benannte Schdanow-Doktrin sollte eine staatstragende und massenwirksame Musik gewährleisten. Die Eckpfeiler der Doktrin waren: ‚Orientierung an den ,Klassikern‘, ‚Parteilichkeit‘, ‚Volksverbundenheit‘, ‚musikalischer Ideengehalt‘ und ‚Realismus‘. Die Doktrin enthielt noch genug Anklänge an die künstlerischen Hoffnungen der klassischen Avantgarden aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, sodass viele Komponisten (aber auch Schriftsteller, bildende Künstler und Architekten) mit ihren künstlerischen Beiträgen der 50er und 60er Jahre bestrebt waren, am Projekt einer neuen Musik für den jungen Staat mitzuarbeiten. Im Spannungsverhältnis zwischen kulturpolitischem Sollen und künstlerischem Wollen entfaltete sich eine eigenständige Sprache der Neuen Musik östlich des Eisernen Vorhangs (natürlich immer im mehr oder weniger intensiven Dialog mit internationalen ästhetischen Strömungen). Der Beitrag wird einige Knotenpunkte des musikalischen Diskurses in der DDR beleuchten und mit schwer zugänglichem und wenig bekanntem Quellenmaterial in Form von Musiken, Bildern und Texten sinnlich erfahrbar machen.

Matthias Tischer studierte Klarinette bei Ralph Manno, Jan Doormann und Jean François Benda, Musikwissenschaft, Schulmusik, Erziehungswissenschaft, Kunstgeschichte, Philosophie, Germanistik und Soziologie in München, Weimar und Jena. Nach einer Promotion über Inhaltsästhetik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts habilitierte er sich nach Forschungsaufenthalten in Berlin und Harvard am gemeinsamen Institut der Musikhochschule Weimar und der Universität Jena, wo er neben Lehraufträgen in Berlin, Hannover und Oldenburg als Privatdozent tätig war. Schwerpunkte seiner Forschung sind: Musikgeschichte seit dem 18. Jahrhundert, Musikästhetik, Theorie der Musikgeschichtsschreibung, Populärmusik, Musik und Politik, Musik im Verhältnis zum Bild, zur Literatur und zum Film, Musik und Technik, Musik und Gender, Musik und Lebensalter, Musikpädagogik sowie die Theorie der musikalischen Bildung. Matthias Tischer ist Professor für Ästhetik und Kommunikation an der Hochschule Neubrandenburg.
Wichtige Veröffentlichungen: Komponieren für und wider den Staat. Paul Dessau in der DDR (2009); als Herausgeber: Musikwissenschaft und Kalter Krieg. Das Beispiel DDR (mit Nina Noeske, 2010); Musik in der DDR. Beiträge zu den Musikverhältnissen eines verschwundenen Staates (2005); „Denn in jenen Tönen lebt es“. Festschrift für Wolfgang Marggraf zum 65. (mit H. Geyer und M. Berg; 1999).