Vortrag
Freitag, 29.4.2011, 10:30h
Filmhaus am Potsdamer Platz, Potsdamer Straße 2, 10785 Berlin

Thomas Koebner

Gaukler und Gespensterfurcht. Einige Anmerkungen zum Künstler-Bürger-Thema und zu einigen schauer-romantischen Motiven in Bergmans DAS GESICHT und anderen Filmen

Merkwürdig genug ist es, dass in Bergmans Œuvre Konflikte in den Vordergrund drängen, die aus der Perspektive der europäischen Nachkriegskultur als unmodern gelten, als historisch und abgetan. Dazu gehört der Zwist zwischen bürgerlichem Rationalismus und dem Anspruch der Künstler, sich in Spiel und Ernst auf eine Welt der Möglichkeiten einzulassen – was die „Gaukler“ in sittenstrenger Wertung als unzuverlässige Träumer abstempelt. Alle Thomas-Mann-Adepten winken müde ab.
Trotz alledem: Der Streit über die Legitimität der Fantasie ist offensichtlich nicht zu Ende. Die Empörung des Romantikers E.T.A. Hoffmann, des „Gespenster-Hoffmann“, über die Welt der Philister scheint sich bei Bergman zu wiederholen – nicht nur im Film ANSIKTET (DAS GESICHT, 1958). Bergman hat ein durchaus ambivalentes Verhältnis zur modernen Entzauberung der Magie – man denke an die Kinder-Entführung in FANNY UND ALEXANDER. Auch die Furcht vor „Dämonen“ aller Art ist ihm vertraut – so beispielsweise in VARGTIMMEN (DIE STUNDE DES WOLFS, 1968).
Ist Bergman also ein verspäteter Romantiker? Oder ist unser Begriff von aufgeklärter Moderne nur allzu eng, wenn dieses Verständnis (vielleicht aus Angstabwehr) die Wirkungsmacht des Mysteriösen ausgrenzt? Bergmans Faszination durch die Geheimnisse dieser anderen Welt – vielleicht doch ein Teil unserer Existenz – hinterlässt in seinen Filmen tiefe Spuren.

Thomas Koebner, geb. 1941; zuletzt Professor für Filmwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, emeritiert; zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts, zum Musiktheater, zur Filmgeschichte und zum Fernsehfilm; Begründer etlicher Fachorgane und mehrerer Buchreihen; Herausgeber zahlreicher Sammelwerke; er ist u.a. der Autor von Ingmar Bergman. Eine Wanderung durch das Werk (2009) und Federico Fellini. Der Zauberspiegel seiner Filme (2010). Er lebt in München.