Vortrag
Samstag, 1.2.2014, 10:30h

Gunter Pilz

Emotionen beleben das Geschäft. Wandlungen des Zuschauer- und Fanverhaltens im Profi-Fußball

„Massensport, das heißt heute: Zweiundzwanzig spielen Fußball, Tausende und Zehntausende sehen zu. Sie stehen um das Spielfeld herum, kritisieren, johlen, pfeifen, geben ihr sachverständiges Urteil ab, feuern die Spieler an, bejubeln ihre Lieblinge, beklatschen einzelne Leistungen, reißen den Schiedsrichter herunter, fanatisieren sich, spielen innerlich mit. (…) Sie verfallen der Fußballpsychose, und sie benehmen sich auf dem Sportplatz, als hinge nicht nur ihr eigenes Wohl und Wehe, sondern das Wohl und Wehe der ganzen Welt von dem Ausgang dieses lumpigen Fußballspiels ab.“ Mit diesen Worten warnte der Sozialdemokrat Helmut Wagner 1931 vor der Gefahr von Massenemotionen beim Fußballspiel. Fußball aber ist Emotion, das Fußballspiel als menschliches Drama lebt von Emotionen. Am deutlichsten wird dies in der Person des Schiedsrichters, der nicht zuletzt auch aufgrund seiner Fehlbarkeit und der Institution der Tatsachenentscheidung eine durchaus nicht nur im Sinne der These vom „situativen aggressiven Hinweisreiz“ problematische, nämlich Gewalt fördernde Rolle spielt, sondern im Sinne des griechischen Dramas auch kathartische Funktion hat. Sportarenen, das Fußballspiel sind entsprechend eine der letzten erhaltenen öffentlichen Bastionen für das Ausleben dieser Emotionen. Vielleicht ist es gerade das was die Beliebtheit, die Faszination des Fußballsports ausmacht. Wer aus dem Fußballsport die Emotionen herausnimmt, der nimmt dem Fußballsport nicht nur seine Seele, er nimmt auch der Gesellschaft ein wichtiges Ventil.
Dies nicht zuletzt auch angesichts der von Zinnecker formulierten These, dass nicht nur die Kommerzialisierung des Fußballsports und die damit verbundene Entfremdung der Fans von den Vereinen Gewaltpotentiale mittelbar freisetzt, sondern dass auch aufgrund der gewaltbejahenden Strukturen Jugendliche erst das Freizeitangebot Fußball schätzen lernen. Kein anderer Mannschaftssport gewährt seinen Zuschauern ein räumlich größeres Handlungsfeld. Abweichende Handlungen lassen sich hier besonders publikumswirksam herausstellen.
Dabei haben im Laufe der Entwicklung des Fußballs zum Massensport, die einsetzende Kommerzialisierung, Professionalisierung und Eventisierung nicht nur zu einer Ausdifferenzierung der Zuschauer- und Fangruppen geführt, sondern auch zu einem Wandel des Zuschauer- und Fanverhaltens und der Stimmung, Atmosphäre und des Auslebens von Emotionen im Stadion.

Gunter Pilz was born in 1944. He studied sociology, psychology, and economics at the universities of Freiburg, Munich, and Zurich. In 1981 he obtained his PhD from the University of Hannover, where he worked as a researcher at the Institute of Sports Science from 1978 to 2010. Since 2012 he has directed a project on Social Work as Applied to Fan Cultures and Sports at that institute. He has also been an Honorary Professor at the Hannover University of Applied Sciences since 2000. He has worked as an expert for the German Ministry of the Interior and the German Football Federation (DFB), among other institutions. Since 2006 he has been DFB counselor on fans and violence prevention. In 2012 he received the Golden Clasp of the North-Rhine-Westphalia Football Federation, and the Ethics Prize of the German Olympic Federation. Selected Publications: Sport, Fairplay und Gewalt: Beiträge zu Jugendarbeit und Prävention im Sport (2013); Jugend, Gewalt und Rechtsextremismus: Möglichkeiten und Notwendigkeiten politischen, polizeilichen und (sozial-) pädagogischen und individuellen Handelns (1994); and Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifußball (2006).