Lecture
Wednesday, Jun 29, 2016, 3:00 PM

Dieter Thomä

Professor für Philosophie, Universität St. Gallen

Der Flaneur und der Wanderer: Baudelaire und Nietzsche

Baudelaire, der philosophische Dichter, und Nietzsche, der dichtende Philosoph, haben einiges gemeinsam. Sie sind die besten Wagner-Interpreten des 19. Jahrhunderts, haben ein gebrochenes Verhältnis zu Frauen und Juden, verhöhnen Mittelmaß und Mitleid, lieben den Rausch und das Meer. Eine Krankheit bringt beide um den Verstand. Nicht nur nebenbei erfinden Baudelaire und Nietzsche neue Formen des poetischen und philosophischen Subjekts – und darum geht es vor allem in diesem Vortrag. Sie versetzen das Ich in Bewegung: als Flaneur oder als Wanderer. Sie setzen sich der Welt aus und halten Distanz, sie spielen Rollen und zeigen »ihr entblößtes Herz«.

Dieter Thomä, geboren 1959, war nach einem Volontariat an der Henri-Nannen-Journalistenschule Redakteur beim Sender Freies Berlin, studierte in Berlin und Freiburg i.Br. und lehrte nach der Promotion 1989 in Paderborn, Rostock, New York, Berlin und Essen. Preis für Essayistik beim Internationalen Joseph-Roth-Publizistikwettbewerb Klagenfurt 1996, Habilitation 1997. Seit Herbst 2000 ist er Professor für Philosophie an der Universität St. Gallen, 2002–2005 war er dort Dekan der Kulturwissenschaftlichen Abteilung, seit 2003 ist er Mitherausgeber der Reihe Zur Einführung des Junius Verlags. Er war Fellow am Getty Research Institute in Los Angeles (2002/3), am Max Weber Kolleg in Erfurt (2007/8) und am Wissenschaftskolleg zu Berlin (2009/10) sowie Gastprofessor an der University of California at Davis (2012) und an der Brown University, Providence (2013). Seine Arbeitsschwerpunkte sind Sozialphilosophie, Ethik, Kulturphilosophie, politische Philosophie, Phänomenologie. In all diesen Bereichen treibt ihn eine Frage um: die sokratische Frage, »wie zu leben sei«. Neuere Veröffentlichungen: Puer robustus. Eine Philosophie des Störenfrieds (2016, im Erscheinen); Der Einfall des Lebens. Theorie als geheime Autobiographie (mit Ulrich Schmid und Vincent Kaufmann, 2015). Väter. Eine moderne Heldengeschichte (2008); Totalität und Mitleid. Richard Wagner, Sergej Eisenstein und unsere ethisch-ästhetische Moderne (2006).